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Kogonadas After Yang

Yangs Traum vom Schmetterling

Die Frage, ob ein Roboter menschliche Gefühle besitzen kann, führt uns in Kogonadas zweitem Film in die Erforschung der menschlichen Natur und der Suche nach Bedeutung.

Verfasser

Lonsi

Sep 25, 2022

© A24

Jake (Colin Farrell) und Kyra (Jodie Turner-Smith) haben für ihre aus China adoptierte Tochter Mika (Malea Emma Tjandrawidjaja) einen sogenannten Technosapien gekauft — ein lebensechter und menschlicher Roboter. Er wird Yang genannt (Justin H. Min) und soll durch sein asiatisches Aussehen und seinem Fundus an chinesischen „Fun-Facts“, wie es im Film heißt, ihre Integration erleichtern. Er entwickelt sich zum großen Bruder und geschätztes Familienmitglied bis er eines Tages defekt geht. Zum Geschäft gebracht, schließt das Unternehmen Reparaturmöglichkeiten aus, einen Recycling-Service können sie der Familie anbieten, bevor Yang verwest. Jake begibt sich auf die Suche nach Reparaturmöglichkeiten, auch fern vom Erlaubten und entdeckt die Möglichkeit, in Yangs Erinnerungen einzudringen. Mit Hilfe eines Lesers kann er durch eine Brille förmlich in Yangs gespeicherten Erinnerungsfetzen blicken und wie Deckard in Blade Runner heran zoomen, vor- und zurückspulen.

In seiner Vision der Zukunft unterscheidet sich After Yang aber deutlich von der regnerischen Dystopie Blade Runners. Im Gegenteil zeigt es Züge einer Utopie, in der die Entfremdung zur Natur überwunden zu sein scheint und in der sich die Natur in einer fortschreitenden Technologie eingliedert. Selbstfahrende Autos sind gefüllt mit Pflanzen, allgemein wirkt die Welt organisch und warm. Die Welt wird nie in einer überdimensionierten Perspektive dargestellt, sondern immer aus einem natürlichen Blickwinkel, was die Welt detailliert, aber auch echt erscheinen lässt. Die Welt fühlt sich nahbar und echt an und trotz der Technologie nicht wie eine entfernte artifizielle Zukunftsvision.

Anders als in vielen Sci-Fi-Filmen geht es hier nicht um übergroße Dimensionen der Weltenrettung, sondern um die zwischenmenschliche Wahrheitssuche innerhalb einer Familie. Kogonada nutzt das spekulative Element des Sci-Fis um einen humanistischen Blick auf allgegenwärtige menschliche- und familiäre Konflikte zu werfen.

Die Familie

Wir müssen zunächst einen Blick auf die Familienkonstellation werfen, um auf tiefere Bedeutungen eingehen zu können: Colin Farrells Figur Jake ist Besitzer eines Teeladens. Die Tradition, die er mit sichtbarer Hingabe pflegt, wird offenbar nicht mehr geschätzt. Wir sehen eine Kundin, die entsetzt ist, dass Jake keine Teekristalle anbietet — scheinbar ein Ersatz für konventionellen Tee in dieser Zukunft — und sofort beschließt zu gehen.

Das Geschäft leidet darunter und Jakes Frau Kyra wird in die Verantwortung gezogen, die Familie finanziell zu tragen. Dadurch kränkelt der familiäre Zusammenhalt. Beide finden nur noch wenig Zeit für ihre junge Tochter Mika.

Umso stärker wird Mikas Verbindung zu Yang, der ihr wie ein großer Bruder beisteht. Er stärkt ihr Verständnis für den familiären Zusammenhalt , als sie von Mitschülern damit konfrontiert wird, dass sie adoptiert ist.

Yang ist sich seiner Existenz als künstliches Wesen bewusst und weiß um seine Limitierungen, gewisse seelische Zustände nicht nachvollziehen zu können. Auf die Frage, ob er glücklich ist, sagt Yang: „Ich weiß nicht, ob ich eine solche Frage beantworten kann“.

© A24

„Was die Raupe Ende der Welt nennt, nennt der Rest der Welt Schmetterling“.

— Yang zitiert den Chinesischen Philosophen Laozi

Der Traum des Androiden vom Sein

Es wäre leicht und naheliegend, After Yang als esoterisches Werk zu sehen, dass in seiner eigenen Poesie und Formschönheit zu versinken scheint — erinnert die Bildsprache, seine Wärme, das Licht und die Makellose Ästhetik gerade zu Beginn an einen Besuch bei Aesop. Untermalt wird dies passend von nicht-aufhörenden seichten Klängen, die eine gewisse sentimentale Schwere der Vergangenheit mit sich trägt. Das bringt eine gewisse Voreingenommenheit in seinem vermittelten Gefühl mit sich.

Das wäre problematisch, wenn er neben dieser Stimmung auch seine Ideen diktieren würde, das heißt in seinen Themen und Blickwinkeln limitiert wäre. Kogonada nährt den Boden seines Films jedoch ausreichend, um dem Zuschauer Freiraum für zahlreiche Ideen und Interpretationen zu geben. Wie bei Hirokazu Koreeda, liegt Kogonadas Interessensfokus weniger im Tod selbst, als um die Menschen herum, dessen Leben davon berührt sind.

After Yang birgt in seiner meditativen Bildsprache etwas sehr poetisches. Die Bilder als auch die Musik bemühen sich unentwegt um ein gewisses Gefühl von Wärme und Nahbarkeit. Das betrifft die einzelnen Charaktere, aber auch den Raum. Die Zeit die er sich für die bloße Darstellung des Raums nimmt, wirkt nie kühl oder gekünstelt. Hier hat Kogonada etwas sehr japanisches an sich und erinnert in dieser Inszenierung an Koreeda oder Ozu, die es meisterhaft beherrschen die Intimität des Raumes hervorzubringen.

Im Film gibt es ein Gespräch zwischen Yang und der Mutter über Schmetterlinge. Dabei zitiert Yang den daoistischen Philosophen Laozi:

„Was die Raupe Ende der Welt nennt, nennt der Rest der Welt Schmetterling“.

Sie fragt ihn darauf, ob er daran glaubt, dass es etwas nach dem Ende gibt. Yang entgegnet nur: „Ich weiß es nicht, ich bin nicht darauf programmiert, in solcher Weise zu denken“.

Das Gespräch und die ständige Präsenz von Schmetterlingsbildern im Haus der Familie lassen in dem poetischen Sog an Zhuangzis (ein weiterer Philosoph des Daoismus) berühmtes Gleichnis vom Schmetterlingstraum denken.

Darin träumt Zhuangzi davon, ein Schmetterling zu sein, nur um aufzuwachen und sich zu fragen, ob es nicht der Traum des Schmetterlings ist, Zhuangzi zu sein.

Es geht um den Wandel und die Gewissheit der Dinge, die in After Yang ebenfalls zentrale Themen sind. Für niemanden in diesem Film ist es ein Geheimnis, dass Yang ein künstliches Wesen ist. Diese Wesen haben in dieser Welt eine allgemeine Akzeptanz gewonnen, die jedoch mehr als funktionale Produkte denn als menschliche Wesen betrachtet werden. After Yang untersucht die Zwischenräume von menschlichen Werten und bloßer Existenz — worin begründet sich die Seele?

Kogonada erkundet in einer Wechselwirkung die Frage, was es bedeutet, ein Mensch zu sein . Wenn Colin Farrells Charakter Jake in die Erinnerungsfetzen von Yang eindringt, sehen wir einerseits die emotionalen Bindungen Yangs zu der Familie, aber auch wie er die Leben der Familie beeinflusst hat. Ihre subjektiven Wahrnehmungen dieser Erinnerungen unterscheiden sich dabei leicht voneinander und werden in einer kreativen Weise aus verschiedenen Perspektiven miteinander überlappt.

© A24

„Ich wünschte, ich hätte eine echte Erinnerung an Tee in China“

— Yang, gespielt von Justin H. Min

Die Tiefe einer Familie und die Identifikation des Erbes

Es ist faszinierend, wie vielschichtig die Figuren geschrieben sind, ohne dass wir viel über ihre Vergangenheit und ihre Gesamtsituation erfahren. Jake sehen wir einerseits bemüht, die Familie zusammenzuhalten, aber auch gebrochen und verloren. Dadurch, dass seine Leidenschaft in der Tee-Herstellung ein Aquädukt einer vergangenen Zeit geworden ist, verliert er auch seinen Lebenssinn.

In der Suche nach einer Reparatur für Yang findet Jake gewissermaßen die Reparatur seiner selbst. In einer Szene erinnert sich Jake an ein Gespräch mit Yang über Tee. Yang will wissen, weswegen er sein Leben dem Tee gewidmet hat. Hier breitet Yang einerseits sein Wissen über Tee aus, gibt aber auch zu erkennen, dass er nicht über faktische Erkenntnisse hinaus blicken kann. Er wünscht sich, die Sinnhaftigkeit dahinter verstehen zu können, weil er von der Schönheit der Teeherstellung beeindruckt ist. Für Jake wiederrum wecken die Fragen aber auch die Erinnerungen daran, weswegen er sich für diesen Weg entschieden hat. Warum ist es so schwierig, den Geschmack von Tee zu beschreiben? In diesem Gespräch um die formlose Gestalt dieser Sprache und dem Ringen nach Worten um den Sinn dahinter zu beschreiben, nähern sich beide dem Wesen dieses sehr menschlichen Bestrebens nach Bedeutsamkeit. Der paradoxe Umstand, dass ein rein auf Funktion programmierter Roboter etwas zu ergründen versucht, was außerhalb der bloßen Funktion liegt, ist fesselnd. Die Art und Weise, wie präzise Kogonada all dies in einem so kurzen Dialog verpacken konnte ist atemberaubend.

Was an Yangs Figur außerdem so interessant ist, ist seine vorprogrammierte chinesische Identität. Neben seinem asiatischen Aussehen verfügt er anscheinend auch über eine Datenbank voller Informationen über die Traditionen und die Geschichte Chinas. Im selben Gespräch mit Jake offenbart Yang ihm jedoch: „Ich wünschte, ich hätte eine echte Erinnerung an Tee in China“. In gewisser Weise ist das wie eine Auseinandersetzung mit dem Integrationsprozess der Kinder, die in einem anderen Land als ihre Eltern aufgewachsen sind und mit dem Paradox einer nationalen Identität konfrontiert werden. Das führt zu der Frage nach der Grundlage für eine solche Form der Identität.

Zum Ende des Films gibt es eine Szene, in welche Mika in das leere Zimmer von Yang geht. Nur ihm und ihrer Erinnerung an ihn zugewandt, hören wir sie zum ersten Mal im Film Chinesisch sprechen. Es gibt keine Untertitel. Die Sprache als eine Form der Identität wird hier als etwas sehr Intimes gezeigt, und es entbehrt nicht einer gewissen Schönheit, dass diese Intimität wie ein gehütetes Geheimnis nicht übersetzt wird, sondern — außer für diejenigen, die die Sprache verstehen — nur für Mika und ihre Erinnerung an Yang bestimmt ist.

Während Regisseure wie Peele und Aster den Horror nutzen, um menschliche Geschichten aus zeitgenössischen Perspektiven zu erzählen, nutzt Kogonada Elemente des Sci-Fi, um die zeitlose Natur des Menschseins zu ergründen. Viele der Charaktere als auch die hier geschaffene Welt sind so vielschichtig, dass es schlicht so viel zu entdecken und zu diskutieren gibt. Die Fragen rund um die menschliche Natur wurden schon oft im Rahmen des Sci-Fi gestellt. Wo Blade Runner Descartes ist, greift After Yang bei der Formulierung ähnlicher Fragen zu einer differenzierten poetischen Sprache des Daoismus.

Wie eingangs erwähnt, wäre es vermessen, die Bildsprache nur auf ihre schiere Eleganz zu beschränken. Es schwingt unverkennbar das Gewicht mit, das die Akteure emotional mit sich herumtragen müssen. After Yang ist eine akribische Studie über eine verletzte Familie, von der jeder auf der Suche zu sich selbst schließlich zu sich selbst als Ganzes zurückfindet.

Another perspective

Ralf

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