Asghar Farhadis A Hero
© Neue Visionen
Bei einem seiner Freigänge will Rahim mit Hilfe seiner Freundin eine gefundene Tasche mit Goldmünzen dafür nutzen, seine Freiheit wieder zu gewinnen. Ihn plagen jedoch Gewissensbisse und er entscheidet sich, die Münzen dem rechtmäßigen Besitzer zurückzugeben. Die Tat von Rahim wird überschwänglich belohnt. Die Presse greift die Geschichte auf und feiert ihn als Helden, die Gefängnisleitung nutzt diese Gelegenheit aus, um sich im Licht der moralischen Tat zu sonnen. Es sei höchst ehrenwert, so die Gefängnisleitung begeistert und lobend zu Rahim, der plötzlich lokale Bekanntheit und Ruhm erlangt. Das zum Wohlwollen des Gefängnisses, welches aufgrund von Selbstmorden der Insassen in Verruf steht.
Wie in vielen Filmen würde die Handlung an dieser Stelle bereits abschließen – eine richtige Tat, ein richtiger Held, ein richtiger Feel Good-Film. In Farhadis Filmen dagegen existieren keine Helden, es sind einfache Menschen. Kühl, aber präzise seziert Farhadi die Wahrheit, bis wir uns in einem Raum der Ambivalenz befinden, in dem der Zuschauer den Boden darüber verliert, was er noch glauben kann. Helden sind urplötzlich keine Helden mehr, demgegenüber gibt es auch keine Antagonisten. Selbst der Gläubiger, der sich von Beginn an gegen Rahims neu gewonnenem Ruhm stellt, gewinnt nach anfänglicher Antipathie Verständnis für sein Handeln. A Hero ist eine moderne Tragödie die sich in den Zwischentönen von gut und böse bewegt. Alles wirkt missverständlich und am Ende bleiben nur noch Fragen – wie hätten wir selbst gehandelt?
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Die gute Tat versinkt in einer Verkettung von Konflikten und wird für alle beteiligten ein Alptraum. Plötzlich kommen Zweifel auf, ob die Geschichte nicht erfunden sei, denn die Spur zu den Goldmünzen und zur vermeintlichen Besitzerin ist verschwunden. Rahims Urteilsvermögen erweist sich als naiv. Seine Entscheidungen werden durch kleinere beiläufige Ratschläge der Gefängnisleitung, der Familie und gar eines Taxifahrers beeinflusst, die ihn nichtsahnend in einen freien Fall stoßen.
Jeder Versuch Rahims, sich zu beweisen führt nur mehr dazu, dass er seine Glaubwürdigkeit verliert und in einer emotionalen Irrfahrt ins Unglück gerät. Zusammen mit dem Protagonisten verlieren wir die Orientierung, was noch wahr oder richtig ist. Farhadi zeigt die Rasantheit der heutigen informationsüberladenen Gesellschaft, in der Medien und soziale Netzwerke einen Helden an einem Tag schaffen und am nächsten Tag wieder unerbittlich stürzen können.
Wie konnte es soweit kommen? Warum kann nicht alles einfacher sein? Mit diesen Fragen scheinen wir nicht alleine zu stehen. Wie in vergangenen Filmen Farhadis stecken Kinder auch hier inmitten der Konflikte der Erwachsenen. Sinnbildlich findet Rahims unter einer Sprachstörung leidender Sohn kein Gehör für sein Unverständnis und kann nur mühevoll als auch verzweifelt zum Ausdruck bringen, dass sein Vater nicht lügt.
Farhadi gelingt es erneut die Auswirkungen zwischenmenschlicher Komplexität aufzuzeigen. Die Grenzen von richtig und falsch verschwimmen und die Empathie, die der Film für jeden seiner Figuren schafft, könnte wie ein Gegenmittel inmitten der Zeit der Cancel Culture wirken.
Der Film beginnt und endet mit Rahim im Vorraum des Gefängnisses. Wartend sitzt er, bis das Personal ihn zurück in seine Zelle führt. In der gleichen Einstellung sehen wir die offene Tür zur Freiheit, Rahim beobachtet draußen einen entlassenen Häftling der von seiner Frau in die Freiheit begrüßt wird. In diesem Moment der Stille teilen wir mit Rahim den gleichen Blick in die Freiheit – vielleicht auch die gleichen Fragen.