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Carl Schenkels Abwärts

Von den Stockwerken der Gesellschaft

Das Deutsche Kino kann nur massentaugliche Sepia-Romantik, Weltkriegsdramen oder Komödien, die selten eine wirklich zündende Idee haben? Weit gefehlt!

Selten war das Deutsche Kino mutiger, fesselnder, atmosphärischer oder die Gesellschaft sezierender als hier in Carl Schenkels großartigem, in Neon-Noir getauchten Bildern gedrehtem Alltags-Thriller Abwärts.

Verfasser

Ralf

Oct 21, 2022

© Subkultur Entertainment

Mit einer schwindelerregenden Einstellung von hoch oben außen an einem deutschen Hochhaus beginnt die Geschichte und in bester Noir-Manier steht auch direkt eine Frau im Mittelpunkt. Der Grundstein für einen schicksalhaften Abend wird gelegt, als die Frau nach einem spätabendlichen Abstecher ins Hallenschwimmbad das erste Mal den verhängnisvollen Fahrstuhl nimmt, in dem gerade ein Monteur seine Arbeit beendet hat.

„Arbeit beendet“ heißt, alles wieder heile also? Nicht ganz. Kaum hat der gute Mann das Gebäude verlassen geschieht durch eine Verkettung unglücklicher Ereignisse in Verbindung mit seiner Unachtsamkeit das, was Jordan Peele in seinem Film Nope in diesem Jahr ein „schlechtes Wunder“ getauft hat: der Fahrstuhl bleibt stecken, doch der Alarm schlägt fehl und der Nachtwächter bekommt nichts mit. So weit so alltäglich würde man meinen, wenn da nicht die vier Insassen in der Kabine wären, die uns ein wahrlich spannendes Schauspiel zu bieten haben, das auch schnell auf Pfaden fernab vom Alltag wandelt.

Eine der vier ist die zuvor erwähnte Frau, die sich mit ihrem Arbeitskollegen in den Feierabend aufmachen will und die beiden treffen zum einen auf einen älteren Herrn, der im selben Gebäude arbeitet, sowie auf einen jungen, rebellischen Punker-Typen, der ebenfalls im Gebäude unterwegs war, und allein die Reihenfolge, in der die Figuren dem Alter nach absteigend den Fahrstuhl auf seiner Fahrt von ganz oben nach ganz unten betreten, hat hier direkt etwas Subtiles und Pointiertes an sich. Wer jünger ist, steigt später und in einer der unteren Etagen in den Fahrstuhl ein, und kämpft um denselben Platz wie alle, die sich bereits darin befinden, aber letztlich steuern doch alle auf dasselbe unausweichliche Ziel hinaus: es geht abwärts. Wie es das Schicksal so will, müssen diese vier Zweckbekanntschaften sich nun also zusammen einer ausweglosen Situation stellen.

Eigentlich ist bis hier noch nicht viel Außergewöhnliches zu vermelden, wenn man das so sachlich beschreibt und, selbst wenn man das Geheimnis des älteren Mannes noch erwähnt, das seine drei Mitmenschen erst später entdecken, bleibt im Kern doch eigentlich nur eine Überlebensgeschichte, die lediglich ein bisschen spannender als gewohnt inszeniert ist, oder? Na gut, inszenatorisch hebt sich der Film immens ab, bietet atemberaubende Kameraführungen, schier unglaubliche Einstellungen und eine immer erdrückendere Nähe zu den Figuren, die mal in das kühle Licht des Fahrstuhls und mal in anderes, wundervolles karges Licht getaucht sind, während sie auf Rettung warten. 

Doch da ist noch mehr und genau dieses Mehr ist es, das dem Film seine besondere Magie verleiht, denn er schafft es, seine Figurenkonstellation in einer nahezu in Echtzeit ablaufenden Handlung immer wieder Nuancen von sich preisgeben zu lassen, die in dieser Auswahl von nur vier Menschen ein erstaunlich facettenreiches Gesellschaftsbild der damaligen Zeit darstellen. Es sind die kleinen Dinge, die Worte zwischen den Zeilen, die eine Generationen – aber auch eine Geschlechterkluft messerscharf offen – und ihren Finger nur zu gern in die Wunde legen.

© Subkultur Entertainment

Da ist der reiche Midlife-Crisler, der seine junge Kollegin anscheinend nur zu gerne für ein Projekt konsultiert, aber dann am Ende vielleicht doch mehr Lorbeeren einstreicht als ihm selbst gebühren. Da ist die junge Kollegin selbst, die zunächst über ihr Aussehen ins Augenmerk tritt und wie eine typische reiche Frau erscheint, die es aber letztlich nur geschafft hat, sich selbst etwas für sich aufzubauen, um sich etwas leisten zu können – ganz weit weg von dem jahrelangen Verzicht, den man in der Schwermütigkeit ihrer Stimme nur zu deutlich spürt, wenn man aufmerksam hinhört.

Dann ist da noch der junge Rebell, cool mit Sonnenbrille bei Nacht, Walkman auf den Ohren und ein kleines Computerspiel als Zeitvertreib immer mal wieder in der Hand. Er ist die wandelnde Aversion gegen das System: alles ist kaputt und nichts funktioniert richtig und das versinnbildlicht genau dieses Fahrstuhl-Erlebnis. Das Schuften für andere stinkt ihm schon früh und anständige Arbeit ist schwer zu finden, also bräuchte man nur etwas Startkapital und dann ab in die Sonne, um sich eine bessere Existenz aufbauen.

Zu guter Letzt ist da noch der ältere Herr, der lange Zeit stumm in der Ecke steht und nichts sagt, und genau damit zum Ausdruck seines eigenen Lebens wird. Ein Buchhalter, der sich jahrelang weggeduckt hat und geschuftet hat für das Geld der anderen, ohne selbst wirklich etwas vorweisen zu können. Sinnbild einer Generation, die den letzten Krieg, hier anno 1984, immer noch in den eigenen Knochen spüren dürfte und seelisch so zusammengepresst ist und deren Flügel so sehr gestutzt wurden, dass das Einzige was zählt ist, über die Runden zu kommen.

Sie alle werfen nicht nur ein eindrucksvolles Bild auf die Gesellschaft, sondern sind auch ein Paradebeispiel dafür, wie schnell die Rollen, die wir in der Gesellschaft und im Alltag täglich spielen, sich als Masken, die wir tragen, entlarven lassen. Masken, die wir im Angesicht der Verzweiflung und gar eines möglichen Todes schneller fallen lassen als man glauben würde. Der Blick dahinter ist es, der Abwärts zu einem so einzigartigen Stück Deutschen Kinos macht und uns nachdenklich zurücklässt mit der Frage, wie das alles so schnell eskalieren konnte, wo es doch mit so einem augenscheinlich kleinen Problem anfing, und das ist heutzutage ja fast schon eine dauerhafte Frage für allerlei lokal- aber auch weltpolitische Geschehnisse.

Wer einmal hinter die moderne Klischeemaske des Deutschen Kinos blicken möchte, sollte es sich trauen, in diesen Fahrstuhl einzusteigen. Nächster Halt, 13. Stock – nicht ganz die Twilight Zone wie in The Lift von Dick Maas – aber dafür mit garantiertem Ausblick auf die Risse in unserer Gesellschaft.

Another perspective

Ralf

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