„Hier haben wir die Anatomie der heutigen Pathologie“
— Caprice, gespielt von Léa Seydoux
David Cronenbergs Crimes of the Future
Surgery Is The New Sex heißt es in David Cronenbergs erneuter Berührung mit der Fortbewegung der Natur des Körpers und seiner Konsequenz. Nahezu ein Jahrzehnt seit seinem letzten Film, kehrt er zur Oberfläche des sogenannten Body Horrors zurück – wofür sein Name wie kein anderer steht – bewegt sich unter dieser Fassade jedoch abseits des Horrors, Schocks und vor allem des Schmerzes, um so seine Frage nach dem Wandel des Menschseins so vielfältig wie noch nie zu formulieren.
© Nikos Nikolopoulos
In seiner Idee der Zukunft, durchlebt die Menschheit Beschleunigte Evolutionssyndrome, wie es im Film heißt. Dadurch verschwindet das Empfinden körperlichen Schmerzes und Infektionen sind überwunden. Viggo Mortensen spielt hier in der nun vierten Kollaboration mit Cronenberg den Performancekünstler Saul Tenser, einer der letzten, der nicht nur Schmerzen spüren kann, sondern von diesen gezügelt wird. Denn ihm wachsen stetig neue Organe, was für ihn lebensbedrohlich ist. Mit Hilfe seiner Partnerin Caprice (Léa Seydoux) nutzt er diese Bedrohlichkeit jedoch, indem sie ihm diese vor versammeltem Publikum heraus schneidet. Diese Kunst wird als Widerstand gegen den Willen des Körpers zelebriert. Dabei liegt er umringend von Zuschauern in einem organisch anmutenden Sarg, während er von seiner Partnerin, mittels eines kleinen Apparats gesteuert, avantgardistisch aufgeschnitten wird.
Ganz gleich wie viel hier geschnitten, entstellt und Innereien entnommen werden, nimmt uns Cronenberg bei aller Deutlichkeit des Gezeigten ebenso das Gefühl von Schmerz weg wie seinen Figuren. Durch die Entkoppelung von Leib und Leid schafft der Film einen neuen Kontext zur gezeigten Gewalt, die uns fern von jeglichem Schock Fragen über ihre Bedeutung ermöglicht.
Der Film beginnt mit dem Bild eines gestrandeten Wracks im Hintergrund, der dem Kadaver eines Wals gleicht. Im Vordergrund sitzt ein kleiner Junge, der wie man kurze Zeit später sieht, einen Plastikeimer isst. Wir erfahren, dass er mit einem Verdauungstrakt geboren ist, der dazu fähig ist, Kunststoff zu verdauen.
Die Nationale Organbehörde sowie die polizeiliche Einheit – die New Vice – überwachen die innerkörperlichen Veränderungen. Sie will einen neuen Menschentypus verhindern, der nicht mehr menschlich ist. Monster, wie das Kind, die „outer space“ sind, wie es dazu im Film heißt. In dem Fall ein Wesen, dass sich von Plastik ernährt. Aus dem lateinischen von Monstrum für Mahnzeichen abgeleitet, stellt das Kind eine Warnung, als auch einen Ausweg dar.
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„Hier haben wir die Anatomie der heutigen Pathologie“
— Caprice, gespielt von Léa Seydoux
Wie bereits in Videodrome geht die Veränderung des Körpers mit der Veränderung des, im doppelten Sinne, Inneren einher. Der Körper ist ebenso Ausdruck wie Konfrontierung mit den Taten der Vergangenheit, die, wenn man so will, zu den Taten der Zukunft führen – die Zerstörung der Umwelt und die unersättliche Gier sind Themen, die Cronenberg überspitzt und symbolisiert zeigt, ohne dabei eine moralische Hoheit einzunehmen.
Wie die Operation als Performancekunst gestaltet sich auch der Film avantgardistischer als man es sonst von Cronenberg kennt. Zum Teil erinnert die Inszenierung einiger Szenen an eine Theaterbühne. Während die pessimistische Textur von Schmutz und das Summen der Fliegen die allgegenwärtige Ästhetik dieser Dystopie bestimmen, erscheinen die gezeigten Dinge künstlich, geradezu plastikhaft. Zwar ist die Gestalt der dargebotenen Technologie organisch und in ständiger Bewegung, als würde sie atmen, doch mutet sie ebenso wie ihre Umgebung unwirklich an und vermittelt den Eindruck einer bloßen Imitation des Fleisches. Passenderweise tragen diese Produkte auch einprägsame Namensgebungen wie OrchidBed oder BreakFaster chair.
Über allem schwebt eine Stimmung des Verfalls – alles scheint verloren und die Spezies Mensch befindet sich in der letzten Phase ihres Überlebens. Wiederkehrend tritt das Thema von der Erhaltung des Menschseins gegen seinen unabdingbaren Wandel zu seiner synthetischen Umwelt auf.
Wo bleibt noch Platz für eine biologische Evolution, wenn der Mensch sich seine Natur immer wieder zu eigen macht. Muss er seine eigene Evolution antreiben, um in einer Welt zu überleben, die er selbst zerstört hat? Was bleibt dann noch vom Menschsein übrig?
Wie Sauls Organe ist der Film zuweilen glitschig und durch seine Vielfalt an Fragen sowie kleineren, nicht auserzählten Nebensträngen, schwer zu greifen. Das mag man als Schwäche betrachten können oder als Vielzahl von verbindenden Einzelteilen, die ein Bild eines Weltganzen ergeben. Auf diese Weise wird ein Kosmos voller Metaphern erschaffen. In diesem und zum allgemeinen Verständnis von Cronenberg, ist die Technik als Erweiterung des menschlichen Körpers ubiquitär verbreitet. Sauls Bett stellt sich etwa wie ein Kokon dar, dessen tentakelartigen Arme sich sprichwörtlich an seinen Körper haften, um seine Schmerzen zu unterdrücken. Gerade in der Frage um die Entmenschlichung des Körpers, wirft der Umgang mit Technik Parallelen zu unserer Gegenwart auf, die längst eine Erweiterung unseres Lebens ist.
Als Ausdehnung menschlicher Möglichkeiten zeigt Cronenberg uns eine Verschiebung von Trieben. Der alte Sex weicht dem neuen Sex, der die Intimität maximiert. Die Öffnung und das Eindringen in den Körper als Symbol für die komplette Zurschaustellung des Inneren wird hier sinnlich in Szene gesetzt. Mortensen und Seydoux gelingen durch ihr Wechselspiel von Distanz und Körperlichkeit ein Ausdruck menschlicher Sehnsucht und Selbstenthüllung.
Crimes of the Future ist langsam, meditativ und die Begeisterung ergründet sich zunächst weniger im Sehen als im zeitversetzten Denken darüber. Die Welt die Cronenberg entwirft ist ein befremdlicher Alptraum, mit einem winzigen Licht einer Hoffnung, das sich am Ende seiner Existenz befindet. Für Cronenberg ist der Körper immer Zentrum der menschlichen Existenz. Es macht uns zu dem, was wir sind – Körper ist Realität, und hier eröffnet er die Schönheit des Körpers als Akzeptanz und Wille zum Wandel.
Als eine ganz schön verquere Rückkehr zu Leitmotiven, die seiner wahrgenommenen Stärke entsprechen, ist David Cronenbergs Crimes of the Future ein Sinnieren über den nächsten Schritt in der menschlichen Evolution und darüber, wem die versammelte Menschheit, oder zumindest gewisse Kräfte darin, es erlauben werden, die Richtung, die dieser Schritt mit sich bringt, maßgeblich zu bestimmen und zu beaufsichtigen.
Der Film bedient sich dabei einem Prozess, der nach Lamarck’scher Evolutionstheorie klingt, wenn er uns Menschen zeigt, denen anscheinend willkürlich und spontan neue Organe in ihrem Körper wachsen, die diesen Vorgang aber mitunter auch durch eine gewisse Willenskraft ihrerseits forcieren können.Diesen Ansatz treibt der Film dann noch eine ganze Ecke weiter und begibt sich dabei in kulturell und gesellschaftlich relevante Sphären mit einem besonderen Schwerpunkt auf die Themen Plastikmüll und dessen Verdauung, während er auch den Einfluss der Chirurgie hinterfragt und welche Rolle diese hierbei spielt.
Die Musik ist konsequent unheilvoll. Sie hat in einer einzigartigen Tanzperformance auch mindestens einen herausragenden Synthesizer-Klang-Moment zu bieten, in dem wir plötzlich ganz Ohr sind – auch, wenn die Szene selbst im großen Ganzen eher eine untergeordnete Rolle spielt. Howard Shore hat beinahe alle Filme David Cronenbergs vertont und er leistet auch hier gute Arbeit und verleiht dem Film eine gewisse Andacht in den orgellastigen Momenten sowie eine futuristische Note in den von Synthesizer-Klängen beherrschten Segmenten.