„I came all the way across town to be with you in your time of need!“
Franck Khalfouns Maniac
Etwas anzuschauen bedeutet nicht, es gutzuheißen. Etwas anzuschauen heißt, sich freiwillig in die Lage von jemand anderem zu versetzen, der nicht so ist wie man selbst oder der genauso ist wie man selbst, der man selbst niemals sein könnte oder der man auch selbst sein könnte, der man selbst niemals wäre oder der man selbst vielleicht wäre. Die Möglichkeiten sind grenzenlos, aber wenn man sich immer nur für die Jemande entscheidet, die man nicht fürchtet, nicht verteufelt oder nicht verabscheut, dann ist es gut möglich, dass man nie verstehen wird, was diese Menschen zu denen hat werden lassen, die sie sind – und Unwissenheit lässt sie nicht verschwinden.
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Frank Zito ist jedenfalls gut darin, einen Jemand zu spielen, so viel lässt sich nicht leugnen, und doch ist er die Art von Jemand, von der wir fürchten, dass sie in größerer Anzahl in der Welt da draußen existiert, als es uns lieb wäre. Ach was sag ich, schon ein Frank Zito ist einer zu viel und doch ist etwas unglaublich Künstlerisches dran, an der Art, wie Regisseur Franck Khalfoun und sein furchtloser Hauptdarsteller Elijah Wood diesem Mann sein verstörendes Leben einhauchen.
Maniac gibt sich allerdings nicht damit zufrieden, uns diesen Soziopathen bloß zu zeigen. Wir müssen die Welt stattdessen direkt durch seine Augen betrachten, während der Film sich wiederum seinen innersten Gedanken, seinem Elternhaus und den Motiven, für die grausamen Taten, die er begeht, nähert. Der Film erlaubt es uns nicht zu entkommen, wenn das Grauen erst einmal anfängt, und es kündigt sich mit dem ersten Mord, dessen wir Zeuge werden, auch auf ziemlich raue Weise an. Der Mörder bringt das Opfer seiner heutigen Wahl zum Schweigen, versucht verzweifelt das Trauma seiner Kindheit zu verarbeiten und das auf dem von ihm gewählten Pfad, der gepflastert ist mit den Mordopfern, die als Stellvertreterinnen seiner längst verstorbenen Mutter herhalten müssen, die nach allem, was wir wissen, auch sehr wohl sein erstes Opfer gewesen sein könnte und womöglich den Anfang dieses Teufelskreises darstellt.
Was uns vielleicht aber beinahe noch mehr wehtut, als all die schockierende Grausamkeit, die hier zu sehen ist, – so schrecklich sie auch zweifelsohne ist – ist die emotionale Selbstgeißelung, der sich Frank unterzieht, die es verhindert, dass er jegliche Art von echter Bindung mit dem anderen Geschlecht eingeht, auch wenn er Frauen anscheinend immerhin in dem Maße für sich interessieren kann, dass sie ihn in echt treffen wollen. Tatsächlich ist er imstande, die Welt des Online-Datings zu seinem Vorteil zu nutzen, auch wenn er zu diesem Zeitpunkt bereits ein Mörder ist. Wir wollen kein Mitleid empfinden für dieses Monster, aber doch fühlen wir uns zumindest etwas im Zwiespalt, als er beweist, dass er online eine Frau für ein Rendezvous finden kann, denn die Hoffnung auf Glück für einen gemeingefährlichen Typen wie ihn lässt uns an all die Tragödien denken, die sich hätten verhindern lassen. Er ist kein „Incel“, der Frauen die Schuld daran gibt, dass er keinen Sex hat, im Gegenteil. Er ist ein Kind, das Frauen die Schuld an dem gibt, was seine Mutter ihn mit hat ansehen lassen und an dem Leben, für das sie sich entschied, womit sie auf versehentliche – aber dennoch vorhersehbare – Weise ein frühes Trauma in ihm hervorrief, das wie ein Krebsgeschwür in ihm gewuchert und sich inzwischen verselbständigt hat.
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„I came all the way across town to be with you in your time of need!“
Der Film ist vorwiegend aus der Egoperspektive von Frank gedreht, weshalb es für uns umso wichtiger und relevant ist, hinzuschauen und darauf zu achten, wann er das nicht ist. Es gibt einige Szenen, in denen wir buchstäblich Franks Körper verlassen und zu bloßen Betrachtern werden, zu Zeugen seiner abscheulichen Taten, doch, was uns betrifft, sind wir in diesen Momenten immer noch er, soll heißen, er scheint sich von sich selbst abzuspalten, um seine Morde abzuschotten, und das gleichgültige, emotionslose Verhalten, das Elijah Wood in diesen Szenen verkörpert, lässt es einem wirklich eiskalt den Rücken herunterlaufen.
Seine Darbietung scheint wie gemacht für die Beschreibung, was genau eine tour de force ist, denn er begibt sich so sehr in die Untiefen dieser Figur, dass nichts mehr von einem authentischen Menschen übrigbleibt. Während Frank sich Anna gegenüber, die eine gleichgesinnte Seele zu sein scheint, zumindest was die Überbleibsel des Guten in ihm betrifft, zu Beginn scheinbar öffnet, so ist er kurz vor dem Finale hingegen so frei von jeglicher Empathie im Gespräch mit Anna in ihrer Wohnung, dass er darin wie eine Maschine klingt, die lediglich empathische Floskeln abspielt, die sie einmal gehört und aufgezeichnet hat. Nichts an seinem Versuch, sie zu trösten, ist echt, alles ist erfunden, und das fängt bereits mit dem Kummer an, den er ihr bereitet hat, damit er als Ritter in strahlender Rüstung bei ihr auftauchen und ihr zur Seite stehen kann. Bei Anna hat dieses Verhalten sogar noch viel mehr Gewicht, da sie aufrichtiges Interesse an dem Teil von ihm hat, der menschlich erscheint, und vermutlich hätte sie sogar auch mehr Gefühle für Frank entwickelt, obwohl sie in einer Beziehung ist, als die beiden sich das erste Mal begegnen.
Die Musik von Rob verkörpert all dies auf perfekte Weise und scheint fast so komponiert zu sein, als spiele sie die meiste Zeit in Franks Kopf und, wenn dem so ist, komme ich nicht umhin mich zu fragen, was es über mich aussagt, dass ich mich von diesen sich wiederholenden Synthesizer-Klängen so unglaublich angezogen fühle? Mit den Melodien, die Rob für den Film erschafft, zeigt er deutlich, dass sehr wohl Empathie in Elektronik stecken kann, wenn der Komponist sie dort platziert und es sind insbesondere die unterstützenden Klaviernoten, welche dies beweisen, fast so, als wisse die Musik, dass sie eine Mitschuld an diesen monströsen Taten trägt, auch wenn sie in den Mordszenen selbst größtenteils dezent ist aber diese anschließend intensiv aufarbeitet, dabei deren Existenz gleichermaßen beklagt und durch sie in gewisser Weise selbst wahnsinnig wird.
Es ist eine eindringliche Filmmusik für einen eindringlichen Film.