„Ozus Filme sind wie Wunder des Kinos. Sie lassen mich in Gewisserweise die Vorfreude auf die Traurigkeit bewundern, von der ich weiß, dass ich sie in meinem Leben erleben werde“
Daisuke Beppu
Im Gespräch mit Daisuke Beppu
Wir sprechen mit Daisuke Beppu unter anderem über seine Leidenschaft für physische Medien, die Verbindung zwischen Kunst und Kommerz, David Lynch und die Philosophie des Donuts.
Dieses Transkript wurde für eine bessere Lesbarkeit bearbeitet. Es ist zudem nur ein kleiner Auszug aus dem gesamten Gespräch. Hört euch das gesamte Gespräch auf Spotify an.
Wir hatten das Vergnügen, mit Daisuke Beppu zu sprechen. Besonders für Sammler und Liebhaber der Criterion Collection ist er ein bekannter Name in der Filmgemeinde und hat einen wunderbaren YouTube-Kanal, auf dem er über Criterion-Veröffentlichungen, aber auch über das Kino im Allgemeinen spricht. Die Art und Weise, wie er die Leidenschaft für die Kunst des Films zum Ausdruck bringt, hat uns sehr beeinflusst. Ein herzliches Willkommen nach Tokio, Japan, Daisuke!
Oh, was für eine sehr großzügige Vorstellung. Ich habe solch lobende Worte überhaupt nicht verdient, aber ich fühle mich sehr geehrt, dass ich eingeladen wurde. Vielen Dank und ich freue mich schon sehr darauf.
Mich würde interessieren, wer deine drei Lieblingsregiesseure aus Japan sind.
Es ist sehr schwierig. Äußerst schwierig. Ich weiß nicht, ob es einen Favoriten gibt, aber wenn ich mich jetzt entscheiden müsste, wäre es vielleicht ... okay, also für den ersten Filmemacher wäre es Takahata Isao, der einer der Filmemacher von Studio Ghibli ist. Man kennt ihn zum Beispiel für Die letzten Glühwürmchen …
... sowie einer meiner persönlichen Favoriten – Meine Nachbarn die Yamadas!
Großartig! Das ist eine so clevere Arbeit. Diese Art von herrlicher Sketch-Comedy-Dynamik. Außerdem ist es ausgesprochen herzerwärmend. Die Ghibli-Filme sind sehr kraftvoll, aber in Takahatas Filmen gibt es etwas, das meiner Meinung nach eine Art von Erfahrung des Japanerseins anspricht. Meine Nachbarn die Yamadas ist ein gutes Beispiel dafür, weil er diese Art der Darstellung des Familienlebens enthält. Und das auf eine Art komische Art und Weise. Manchmal wird die Realität für die Zwecke der Komödie ein wenig überspannt, stimmts? Aber es gibt auch eine Art von Authentizität, was die Szenarien und Szenen angeht.
Zum Beispiel, wenn dort die Kirschblüten betrachtet werden in Anbetracht, wie viel Zeit wir noch auf dieser Welt haben werden. Nun, das Spiel mit bestimmten Traditionen etwa, es gibt zahlreiche kleine Dinge, die meiner Meinung nach Teil der alltäglichen japanischen Erfahrung sind. Möglicherweise sind es vielleicht Details, die außerhalb Japans nicht unbedingt so bekannt sind.
Es gibt einen Ausdruck, der für den Filmemacher Yasujiro Ozu verwendet wird: er wird als der japanischste aller Filmemacher bezeichnet wird, ich weiß nicht, ob ich so weit gehen würde, aber wenn ich – und ich mag diesen Ausdruck aus einer Reihe von Gründen nicht – einen solchen Ausdruck verwenden müsste, ich denke, ich würde diesen Ausdruck auf die beste Weise verwenden. Ich würde ihn für meine Beschreibung von Takahata Isao verwenden, denn seine Werke sprechen meiner Meinung nach für eine Art von Japan-Erfahrung. Es gibt so viele kulturelle und historische Bezüge in seinen Werken, die ein Teil der Erfahrung sind, ein Japaner zu sein, der in Japan lebt.
Das ist also der Erste. Der Zweite, den ich bereits erwähnt habe, ist Yasujiro Ozu. Ich denke, seine Werke haben eine persönliche Tragweite, und die Bandbreite seiner Werke ist verblüffend. Das reicht von seinen Stummfilmen über seine Komödien bis hin zu seinen Familiendramen, und sogar Experimente wie seine Gangsterfilme. Es gibt diesen Aspekt des Spiels mit dem Genre. Ich glaube, er ist vor allem für sein späteres Werk bekannt, das vielleicht das letzte Kapitel seiner langen und glanzvollen Karriere darstellt.
Und in der Tat, diese Meisterwerke, für die er bekannt ist, sind wie Wunder des Kinos. Sie lassen mich in Gewisserweise die Vorfreude auf die Traurigkeit bewundern, von der ich weiß, dass ich sie in meinem Leben erleben werde. Ich weiß nicht, ob das Sinn ergibt. Anders ausgedrückt… Ich weiß, dass ich eines Tages die Traurigkeit erleben werde, dass meine Tochter erwachsen wird und mein Haus verlässt und vielleicht alleine lebt. Und ich weiß, dass dieser Tag kommen wird. Weißt du, sie ist noch nicht so weit. Sie ist noch jung, sie geht noch zur Schule.
Es liegt also noch ein weiter Weg vor ihr, aber ich weiß, dass dieser Tag kommen wird. Und wenn dieser Tag kommt, werde ich sehr, sehr traurig sein. In der Tat ist diese Traurigkeit Teil der Erfahrung vieler Ozu-Werke als eine Art Beispiel für die Entwicklung der Charaktere und einiger seiner berühmten Werke wie Late Spring oder sogar Tokyo Story bis zu einem gewissen Grad.
Ich erinnere mich an diese Szene auf dem Hügel mit der Mutter … das war in der Tat herzzerreißend.
Ganz genau! Ich denke, dass es in einer Art literarischer Tradition eine Art von Erhabenheit gibt, traurige Situationen zu ertragen. Und diese Art von Erhabenheit wird in vielerlei Hinsicht gewürdigt.
Es ist die Art von Schönheit, Anmut und Erhabenheit der Traurigkeit und der Tragödie in Angesicht zu treten. Und dieses Konzept ist meiner Meinung nach in Ozus Filmen am gelungensten eingefangen. Wenn man also die Essenz davon will, die Antizipation auf die Traurigkeit zu verspüren, dann sind Ozus Filme tatsächlich etwas ganz Besonderes, zumindest empfinde ich es so. Sie kommen einer Art Destillation von Emotionen, die das Kino einfängt, am Nächsten. Das ist also, um es einmal ganz grob zu erklären, meine Nummer zwei.
Seine komödiantische Seite gefällt mir auch sehr. Mit … wie heißt der Film noch gleich … Ohayo. Ich weiß nicht, ob das typisch für seine Filme ist, aber was ich bemerkenswert fand, war der Einsatz von Humor zusammen mit der Naivität des Kindlichen, um gesellschaftliche Konventionen auf leichte, aber scharfe Weise zu kritisieren.
Absolut, das stimmt.
Nun bin ich neugierig auf deine dritte Wahl.
Oh, und der Dritte, den ich jetzt nennen würde, ist wahrscheinlich … Kitano Takeshi. Es hat etwas so Großartiges, wie er in seinen Filmen bestimmte kulturelle Bilder dekonstruiert.
Er nutzt seine komödiantische Vorgehensweise, um diese Bilder und Normen im Wesentlichen zu zerstören. In einem Werk wie Hana-bi stellt er zum Beispiel das Konzept des Polizisten auf den Kopf. Er stellt die Idee der gelassenen Natur, des friedfertigen Charakters des Kunstschaffens in diesem Film auf den Kopf, und zwar durch die Art und Weise, wie die Gewalt über die Leinwand spritzt. Er benutzt Gewalt auf eine humoristische Art und Weise, um diese Art von … wie sagt man … eine Art von Norm der höflichen japanischen Gesellschaft zu durchbrechen, um es mal so zu sagen. Und indem er sie auf eine Art und Weise zerreißt, die sehr brutal und unterhaltsam und lustig ist, aber auch blutig und gewalttätig. Gleichzeitig will er damit sagen, dass es so etwas wie einen Kern von Menschlichkeit gibt.
Ich liebe Kitanos Arbeit so sehr, weil er über die – wieder einmal – Erfahrung der Japaner und die Symbole Japans spricht. Er reißt sie nieder, bricht sie auseinander und zerstört sie, aber er respektiert sie stets, er liebt sie. Zudem zeigt er uns eine humorvolle Seite und unterhält uns gleichzeitig mit diesen Blitzen von Gewalt und Zerstörung. Deshalb liebe ich seine Arbeit!
Ich hatte mal gelesen, dass Kitano in Japan eher als Komiker und weniger als ernsthafter Künstler angesehen wird. Ist das immer noch der Fall?
Nun, ich glaube, er ist im Fernsehen präsenter, auch wenn seine Fernsehauftritte im Laufe der Jahre vielleicht etwas zurückgegangen sind, aber ganz allgemein ist er mehr als Fernsehpersönlichkeit denn als Filmregisseur bekannt. Die Leute kennen ihn also eher durch seine Auftritte im Fernsehen. Aber seine Auftritte im Fernsehen sind sehr vielfältig und reichen von Comedy-Shows bis hin zu Nachrichtensendungen und dergleichen.
Alle in meiner Generation sind mit Takeshi’s Castle aufgewachsen. Ich liebe es.
Ja, ich auch!
Tolle Auswahl. Ich war vor allem von Kitano überrascht. Japan hat wirklich eine Menge an meisterhaften Regisseuren hervorgebracht.
„Ozus Filme sind wie Wunder des Kinos. Sie lassen mich in Gewisserweise die Vorfreude auf die Traurigkeit bewundern, von der ich weiß, dass ich sie in meinem Leben erleben werde“
Daisuke Beppu
Das ist sehr schwierig, aber was ich sagen kann, ist, dass die folgenden drei Filme je nach dem Tag, an dem ich gefragt werde, meine Lieblingsfilme aller Zeiten sein könnten. Das heißt, ich bin mir nicht sicher, welcher Film im Moment mein Lieblingsfilm aller Zeiten ist, aber diese drei kommen für mich immer in Frage.
Der erste ist ein Ozu-Film, der Late Spring heißt. Ich denke, das ist der perfekte Ozu-Film. Das heißt, es ist, denke ich, der vollkommenste Film von – in vielerlei Hinsicht – einem vollkommenen Künstler. Man spricht also von der Perfektion der Perfektion, wenn man über den Film Late Spring spricht, zumindest aus meiner Sicht.
Der zweite Film ist ein Werk mit dem Titel A Brighter Summer Day. Das ist der Regisseur Edward Yang.
Ich finde, dieser Film ist eines der besten Beispiele für die Kombination von Makro- und Mikroebene. Die Mikroebene ist die intime Erfahrung der Figuren aus erster Hand und ihre Entwicklung und Reise. Und es gibt viele Charaktere, es ist ein Netzwerk von Charakteren, kombiniert mit der Makroebene, die den Verlauf der Geschichte darstellt, das Element der Zeit, die Idee der Wiederholung und der Wiederholung der Geschichte, sogar der schlechten Geschichte und der Zyklen, die auch eine Art von fast religiöser Konnotation hat.
Auch die sehr ernste und intensive und ziemlich folgenreiche soziale und politische Geschichte und Dynamik der Beziehungen zwischen China und Taiwan. Es ist die perfekte Kombination von Innen und Außen. Das ist A Brighter Summer Day, meine zweite Wahl.
Die dritte Wahl ist ein Film, den wir bereits erwähnt haben. Der Film von Alfred Hitchcock, Vertigo. Ich glaube, ich sehe mir Vertigo mindestens einmal im Monat an. Es ist fast unbeschreiblich, wie sehr ich mich in diesen Film verliebt habe. Die Art und Weise, in der er verwirrend ist und die Art und Weise, in der die Handlungspunkte als Krimi oder Film noir nicht viel Sinn ergeben, ist auch eines der Dinge, die ihn für mich perfekt machen. Denn es bedeutet, dass der Film über diese Unvollkommenheiten hinausgeht und etwas schafft, das sich auf einem ganz anderen Terrain bewegt, und das finde ich absolut faszinierend. Die Art und Weise, wie das Mysterium konstruiert ist, wie es in Form von Hinweisen aufgebaut ist und wie es aufgedeckt wird, spielt mit meinem Verstand. Es ist wie ein Puzzle in meinem Kopf, für das es keine Lösung gibt. Es ist, als würde man sich in einem Heckenlabyrinth verirren, was ich liebe. Und so kombiniert man diese Verwirrung mit der Schönheit der Bilder, mit der Musik, weißt du, von Bernard Herrmann … und dann entstehen diese monumentalen Szenenbilder mit einem Flair und einer Dynamik, wie sie nur Alfred Hitchcock liefern kann. Das ist der perfekte Cocktail. Das ist also meine dritte Wahl. Vertigo.