„El arte es garantía de salud.“ (Die Kunst ist die Garantie der Gesundheit.)
Pedro Almodóvars Die Haut, in der ich wohne
Identität ist ein Begriff, der in unserem Alltag immer dehnbarer wird und die moderne Medizin sowie die moderne Toleranz erlaubt es Menschen, ihr Leben als sie selbst zu leben, oder zumindest ihrem Selbst näher zu kommen, als es der Körper, mit dem sie geboren wurden, ihnen erlaubt.
© Sony Pictures Classics
An dieser Kreuzung, wo Existenz auf Entstehung trifft, begegnen wir Pedro Almodóvars höchst ungewöhnlichem Film über eine unvorhergesehene Perspektive auf Identität, und das inmitten einer Geschichte, die so komplex und so nuanciert ist, wie sie nur das Kino aus dem Roman, dem sie ursprünglich entstammt, zum Leben erwecken und umwandeln kann.
So wie unsere vielen Hautschichten hat auch Die Haut, in der ich wohne eine Vielschichtigkeit zu bieten, die viele Regisseure in so einer facettenreichen Geschichte kaum zu suchen wagten, und die in ihrem Kern eine Geschichte über das Ausüben von Rache dort ist, wo der Gerechtigkeit nicht mehr Genüge getan werden kann. Die nichtlineare Struktur, für die sich Almodóvar bei der Vorstellung seiner breit gefächerten Anzahl an Charakteren entscheidet, ist zu Beginn von größter Bedeutung, da wir beinahe das Gefühl haben, dass der Film genauso an seinen Nebenfiguren interessiert ist, wie er es an seinen Hauptfiguren ist, als da wären: ein Chirurg, seine Tochter, eine ungewöhnliche Patientin und eine Haushälterin. Neben deren Geschichten begegnen wir einem Jungen, der Drogen nimmt, der in der Näherei seiner Mutter arbeitet und der romantische Ambitionen gegenüber seiner Kollegin hat, die allerdings nicht an Männern interessiert ist und seine Avancen zurückweist.
Der Teil mit den Drogen im Lebensstil des Jungen ist es, der ihn mit der Tochter des Chirurgen in Verbindung bringt, als die beiden sich zum ersten Mal begegnen und sich nur aufgrund eines fatalen Missverständnisses darüber, welche Art von Drogen sie jeweils nehmen und warum, auf Anhieb verstehen. Denn es ist so: eine oder einer der beiden befindet sich in Therapie und nimmt die verschreibungspflichtige Sorte Drogen, um ein traumatisches Ereignis in der Vergangenheit zu bewältigen, in dem er oder sie aus erster Hand Zeuge eines Todesfalls wurde, während der oder die andere Drogen als Freizeitvergnügen konsumiert, um high zu werden, Party zu machen und sich mit dem anderen Geschlecht zu amüsieren. Ohne, dass sie es jedoch ahnen, wird einer der beiden den Funken zu dieser Begegnung mitbringen, der das Feuer entfacht, welches wiederum mehr Trauma verursachen und ihr beider Leben für immer verändern wird.
© Sony Pictures Classics
„El arte es garantía de salud.“ (Die Kunst ist die Garantie der Gesundheit.)
Das Feuer spielt auch im Leben des Chirurgen eine große Rolle: Schnitt zum stattlichen Anwesen des Chirurgen, das einst als renommierte Klinik diente, bis er sich zurückzog, um seine Frau zu behandeln, die nach einem Autounfall zum Brandopfer wurde. Die Behandlung, die er für sie anstrebt, liegt an keinem geringeren Punkt, als an der Grenze zur „verrückten Wissenschaft“, da er es sich zur Aufgabe gemacht hat, einen Weg zum Züchten menschlicher Haut zu finden, was ihm schließlich sogar gelingt – und das in verbesserter, feuerfester Form –, um seiner Frau ihr Leben zurückzugeben. Es erscheint als grausame Ironie des Schicksals, dass es genau dieses Leben ist, dass sich dem in den Weg stellt, und des Chirurgen Hoffnung auf und Pläne zur Genesung seiner Frau durchkreuzt, wodurch Ereignisse in Gang gesetzt werden, die eine Auswirkung auf den zuvor genannten Jungen sowie die Tochter des Chirurgen haben werden. Trauma gebiert Trauma gebiert im Gegenzug mehr Trauma könnte man sagen, und jedes einzelne wird versursacht von einseitigen Entscheidungen, die hier allerdings nicht verraten werden.
Dann ist da noch die ungewöhnliche Patientin, die im Haus des Chirurgen wohnt – beziehungsweise dort gefangen gehalten wird wie sich herausstellt – und die eine frappierende Ähnlichkeit zu der Frau des Chirurgen hat, wenngleich sie doch jemand gänzlich anderes zu sein scheint. Jemand, die zahlreiche Daten auf die ganzen Wände in ihrem Zimmer geschrieben hat, um den Überblick über Ihre Gefangenschaft zu behalten und die mittels Yoga und Mantras einen Weg gefunden hat, mit besagter Gefangenschaft klarzukommen. Mantras wie "El arte es garantía de salud." (Die Kunst ist die Garantie der Gesundheit.). Nur durch ein Leben in ihrem eigenen Geist, so scheint es, ist sie in der Lage, den Zustand ihrer Existenz zu akzeptieren und die Tatsache, dass auch Selbstmordgedanken eine Rolle spielen, während die Geschichte voranschreitet, bringt erneut eine bedeutungsvolle Verbindung mit sich und das nicht bloß zu einer, sondern zu zwei der zuvor genannten Charaktere.
Die Haushälterin hingegen ist der Zündstoff für viele der Charaktere, die hier im Spiel sind, und man könnte argumentieren, dass sie, trotz ihrer hintergründigen Rolle, eine kritische Figur in der Handlung ist, da sich nichts davon so hätte entwickeln können, wie wir es gezeigt bekommen, gäbe es sie nicht und hätte sie nicht genau die von ihr gewählten Entscheidungen in ihrem Leben getroffen. Eine dieser Entscheidungen kommt buchstäblich in Fleisch und Blut zurück, um sie zu quälen, und das, obwohl sie in einem als harmlos gestalteten Tigerkostüm daherkommt, welches nicht passender sein könnte für die Art von Figur, die sich darin versteckt.
Wie man bis hierhin vielleicht schon gemerkt hat, bin ich bewusst vage, was die Verbindung all dieser Figuren angeht, und auch was genau die unvorhergesehene Perspektive ist, die ich eingangs erwähnte. Ich bin der Ansicht, dass es viel wichtiger ist, dass man dies selbst entdeckt und dann hoffentlich fasziniert wird, von den zwischenmenschlichen Nuancen, die Almodóvar in der Geschichte findet, indem er sich dafür entscheidet uns etwas Unbequemes zu erzählen, um deutlich zu machen, dass die bewusste Entscheidung, jemandem ein neues Trauma zuzufügen, niemals das eigene heilen kann.
Die Haut, in der ich wohne ist ein faszinierender Film und einer der für eine Figur, für die wir es am wenigsten erwarten, auch unerwartete Schönheit in Tragödie findet und der mit einem der wohl realistischsten und prägnantesten Gespräche endet, um etwas zu erklären, das sich schlicht und ergreifend unwirklich anfühlt, wenn man es laut ausspricht.